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Overthinking

Samstag, 26. Juli 2014

Es war kurz nach Mitternacht, als ich mich müde durch den Busbahnhof schleppte,einem trostlosen Gebäude, das offenbar von derselben Sorte Mensch verbrochen worden war,die auch die Toiletten in den Schulen entwerfen. Alles was ich heute gelernt hatte war das man sich manchmal in den falschen Typen verlieben muss um den richtigen zu finden. Und das stammt vom Shakespeare Seminar von heute Vormittag. Ein nützlicherer Ratschlag wäre gewesen : Manchmal liebt der richtige Mensch einen nicht oder der richtige Mensch ist schwul. Danke für absolut gar nichts, Shakespeare. 
Sechs Monate war es jetzt her,seit ich herausgefunden hatte dass meine erste Große Liebe Victor schwul war. Und vor zwei Tagen kam heraus dass es zu meiner neuen Beziehung mit dem geliebten Mr. Big noch eine Misses Big hinter meinem Rücken gab. Eine brünette Schönheit wie Cathy sagen würde. Für mich eher ein Grund Schlaflos in Seattle umzubenennen in "Schlaflos am Busbahnhof". Es ging nicht mehr. Eben hatte ich die beiden beobachtet wie sie das teuerste Lokal in unserer Kleinstadt verließen von dem ich nur träumen konnte. Ein Glas Wasser musste dort ein Vermögen kosten hatte ich gehört. Das was ich sah war dennoch eine viel zu betrunkene Brünette in einem viel zu kurzen Kleid mit einem viel zu vergebenem Mann daneben. Meinem Freund. Da mein Mr. Big felsenfest behauptete am Valentinstag nicht genug Geld für ein Essen dort zu haben fand ich nun den Grund dafür. Die Flasche Champus die sie wohl allein getrunken haben musste, bezahlt sich ja nicht von allein. 
Jetzt, nachdem ich die beiden nur noch in seinem Haus hab verschwinden sehen, saß ich nun auf dem viel zu kalten Klobrillenrand und laß verschieden Sprüche die mit Edding an die vergilbten Türen gekritzelt worden waren. Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, spritze sie jemandem ins Auge. 
Memo an mich selbst : Ich brauchte Zitronen. Viele. Zitronen. 

1. Kapitel 

Mein Dad trinkt zu viel und meine Mom isst zu viel, was so ziemlich auf einen Nenner bringt wieso ich so bin, wie ich bin : Ein lebendes Nervenbündel. Vor drei Wochen, ich war gerade 23 geworden, war dass einzige was ich mir wünschte nicht so zu bleiben wie ich gerade war.
"Eeeessen!", brüllte meine Mutter durch den Flur, wie sie immer durch den Flur brüllte, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam. Von ihrem Parfum bekam ich sofort Kopfschmerzen. "Glei-eich!", rief ich zurück,bewegte mich aber kein Stück. Ich hasste diese Abendessen. Dabei ist es nicht so, dass ich Essen hasse, im Gegenteil, ich liebe Essen. Ich meine was gibt es Besseres als ofenwarmes Brot, dick mit Aioli bestrichen? Oder Nachos mit extra viel Dipp? Mir läuft das Wasser im Mund zusammen wenn ich nur daran denke. Aber bei meinen Genen - Moms Kleidergröße kann mit ihrem Alter mühelos mithalten und Dad spielte jedes Jahr ehrenamtlich den Nikolaus - wenn ich also bei meinen Genen nicht aufpasse ist das eine Einladung an meine Fettzellen sich aufzublasen wie Kugelfische. 
Gott sei Dank hatte ich mich im Griff und der Duft von Burger und Pommes ließ mich kalt. Momentan ließ mich sowieso fast alles kalt. Wenn ich nicht gerade weinend und mich selbst bemitleidend unter der Dusche saß verbrachte ich meine Zeit im Büro oder im Bett. Beides war gleichermaßen einschläfernd sodass meine Artikel für die "Cottreller News" die Leser eher depressiv machte als sie informativ durch den Tag zu begleiten. 
Ich arbeitete dort schon immer. Ich wollte immer zur Zeitung und ich wollte immer heiraten. In Weiß und am Strand. In der Kirche machte das ja schließlich jeder! Ich war nie wählerisch gewesen. Wenn in meiner Kindheit Kinder an der Eisdiele standen und sich nicht zwischen Schokolade und Vanille entscheiden konnten, wusste ich längst was ich wollte und regte mich lediglich über die Tatsache auf dass sie eh schon dick genug waren. Ohja ich wusste was ich wollte. Am liebsten zwei Kinder,natürlich zwei Mädchen. Aber falls mich das Glück des männlichen Geschlechts beehren sollte, dann bitte zuerst einen Jungen damit der auf die kleine Schwester aufpassen kann. Und einen Hund der mit dein Kleinen im Garten spielt während mein Mr. Big und ich lächelnd in der Hollywoodschaukel saßen. 
Durch die geschlossene Tür meines Zimmers konnte ich das Klappern von Geschirr hören was mich aus meinen Träumen riss. Mr. Big... Er war wie ich ihn mir immer erträumt hatte und das obwohl es mir nicht so sehr auf das Aussehen eines Mannes ankam. Er war attraktiv,muskulös und hatte diese Frisur eines Mannes der nie gekämmt aber doch gepflegt aussah. Er trug enge Shirts mit V-Ausschnitt und sah eigentlich zu gut für mich aus. Und doch war er derjenige der mich über Victor und mein angeknackstes Selbstbewusstsein hinwegtröstete. Er schenkte mir Blumen, wir gingen Spazieren und fuhren sogar zusammen in den Urlaub. 
Im Nachhinein hört sich das alles schöner an als es wirklich war. 
Meine gute Freundin Cathy hatte es mir ja "schon immer gesagt" aber man weiß ja wie da so ist mit der berühmten "rosaroten Brille". Diese Brille hatte ich nun aber seit drei Tagen abgenommen. Jetzt wusste ich dass die Plastikrosen nichts mit Romantik zutun hatten. Auch die Spaziergänge waren eher schweigsam als aufheiternd und den Urlaub hatte ja schließlich ich bezahlt. Die Tatsache dass ich nicht nur ein gebrochenes Herz sondern auch um schwer ersparte 1500€ All-Inklusive Urlaub ärmer war, machte es nicht erträglicher mir die bevorstehende Standpauke von Mom abzuholen. Sie hatte ihn noch nie gemocht. Er war ihr zu schmierig wie sie immer sagte. Und deswegen wusste ich dass das Abendessen ebenso schmierig ablaufen würde. Da mein Verhältnis zu meiner Mum so dick war wie sie selbst wollte ich sie nicht enttäuschen und kroch nun doch aus der Kuhle in meinem Bett um mich der Herausforderung zu stellen. 

Mein plattgedrücktes Haar verriet ihr natürlich dass ich den ganzen Tag nur im Bett verbracht hatte. "Ana ", sagte sie bedauernsvoll. Ich zuckte mit den Schultern und ging an der wohlriechenden Tüte mitgebrachter Hamburger vorbei zum Kühlschrank. Mein Essen war so eintönig geworden wie meine Haarfarbe. Ich nahm mir einen Pfirsichyoghurt und setzte mich zu meinem Dad in unser kleines Wohnzimmer in der Hoffnung das Mom meinen Lebensstandard nicht ansprach. 
Ich erinnerte mich an die Worte meines siebzehnjährigen Bruders Zac der mein Aussehen mal als "befriedigend" eingestuft hat. "Wer hat dich denn gefragt?", gab ich patzig zurück,ohne zu verbergen, dass ich verletzt war. Mom wollte mir damals zur Hilfe eilen indem sie meinte sie könne aus mir ganz schnell ein Gut zaubern. Tatsache ist dass wenn deine eigene Mutter dich nicht als sehr gut bezeichnet, auch wenn du vielleicht nicht so aussiehst, du wirklich nur befriedigend bist wie dein mangelhaft aussehender Bruder es dir gesagt hat. 
Ich verdrängte die Erinnerung und fing an gegen die Lautstärke des Fernsehers meine Dad anzubrüllen um zu fragen wie sein Tag war. Ein leises zustimmendes grummeln war die Antwort des in die Jahre gekommenen Mannes im Feinripp-Unterhemd. Wir waren eine durchschnittliche Familie mit einem kleinen Haus am Rande von Cottrell.  Wir hatten nie ein Haustier da Dad meinte dass Kinder schon genug Dreck machten. Ich hatte eine glückliche Kindheit und war zufrieden mit meinem Leben eben bevor dieses Desaster mit Michael anfing. Sobald ich an gestern Abend dachte, an sie und das Kleid und das Gespräch was ich mit Michael hatte schossen mir die Tränen in die Augen. Und da saß auch schon Mom neben mir und schaute mich mit diesem Blick an mit dem man eine 23-Jährige Durchschnittstochter die noch zu Hause wohnte und der das zweite Mal das Herz gebrochen wurde nur ansehen konnte. Es endete damit dass ich den Yoghurt umgekippt hatte und weinend in die Arme meiner Mutter gefallen bin. Nicht dass das was geändert hätte. Jetzt war ich enttäuscht, hungrig und dehydriert zugleich. 

Einen Burger und 23 Pommes mit extra viel Mayo später war ich zumindest nicht mehr hungrig. Ich beschloss Cathy anzurufen und ihr zu erzählen weshalb die Liebe mir diesmal ein Bein stellte. 
"Er hat was gesagt? Und - was hast du dann gesagt? Mhm. Und seid ihr jetzt noch, zusammen?" Cathy war zu aufgeregt um auf meine Gefühlslage eingehen zu können. Nachdem ich ihr schluchzend von meiner Beobachtung erzählt hatte war ich Grade bei der der Situation angekommen an der ich Michael zur Rede gestellt hatte. "Nein wir haben uns getrennt. Besser gesagt er hat sich von mir getrennt Cathy. Er meinte ich hätte nachgelassen und er würde jetzt auf einen anderen Typ Frau stehen. Frauen die Erfolg haben und schöne Haare und sowas weißt du?", seufzte ich in den Hörer. Ihr Schnauben war nicht zu überhören und die Liste an Schimpfwörtern und dergleichen war umwerfend aber nicht sehr aufheiternd. "Was denkt er denn wer er ist? Liebes du solltest dich in keinem Fall schuldig fühlen! So eine wie dich wird er nie wieder bekommen." Ich dachte nur an die Frauen die er bald haben wird. Frauen mit schönen glänzenden Haaren. Cathy ließ noch ein paar freundliche Redewendungen durch den Hörer hallen die man wohl als gute Freundin sagen muss. "Andere Mütter haben auch hübsche Söhne" und "Du wirst einen besseren finden" hebten meine Laune nicht gerade aber ich hatte aufgehört zu weinen und war nun damit beschäftig mir mit einer Hand den zwei Tage alten Mascararest von der Wange zu wischen. Ich überlegte wie ich mein elendes Singledasein nun überleben sollte. Cathy wollte das tun was die Frauen in den Filmen immer taten, einen Film ausleihen, Schokolade essen und sich die Seele aus dem Leib heulen. Mir war nicht danach. Zum einen weil ich wusste dass die Schokolade aus meinem befriedigend bestimmt nicht ein gut machte und zum anderen wurde den Frauen in den Filmen dann immer klar dass sie ihren besten Freund, der ja schon immer da gewesen war, liebten und dann kam das Happy End und der Film war vorbei. Ich hatte weder einen DVD-Player noch einen besten Freund also war Plan Numero Eins raus. Wie ich mich dann im Spiegel so ansah, ungeschminkt, und nicht geduscht bekam ich Lust mich fertig zu machen. "Cathy?", fragte ich vorsichtig. "Ja,ja was ist denn Ana?" 
"Wir gehen heute Abend feiern." 

"Es sind die kleinen Dinge des Lebens!", sagte Cathy und zeigte den minimalsten Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie konnte ja nicht wissen dass ich nicht an die Rose dachte die Michael mir vorgestern noch geschenkt hatte. Ich nickte zustimmend und wir prosteten und mit unserem Lieblings Prickel-Sekt zu. Ich war manchmal neidisch auf sie. Wie ihre Haare fielen,sie sich ihr Gesicht schminkte und Geld nicht der Rede Wert war, was Cathy aber immer abstritt wenn man sie darauf ansprach. Und am Ende des Monats stand sie dann doch neben Papi und sackte den ein oder anderen Schein ein während ich überlegte wie viel weniger ein unbelegtes Brötchen wohl kostet als eines mit Salami.
Sie hatte ein Auto, ich nicht. Immer wenn ich anfing über diese Dinge nachzudenken bekam ich schlechte Laune. Noch schlimmer als jetzt konnte sie wohl kaum werden aber ich trank trotzdem noch einen großen Schluck. Aus den Augenwinkel beobachtete ich mich dabei im Spiegel.
Zwei Flaschen Lieblingssekt später fand ich mich wunderschön und war auch bereit das den Männern in der Disco zu zeigen. Cathy war auch gut dabei und fing schon an zu vergessen warum wir eigentlich die Nacht zum Tag machten. Ich wusste es zu meinem Leidwesen noch. 
Leider ging die Uhr nicht rückwärts deshalb beschlossen wir aufzubrechen. Ich in meiner viel zu engen Röhrenjeans und dem schwarzen Rüschen-Top und Cathy in ihrem lilanen Kleid machten wir uns auf den Weg zum Cottreller Bahnhof. Auf dem Weg dorthin wurde mir kalt und ich fragte mich wie die Mädels auf der gegenüberliegenden Straßenseite es ohne Jacke überhaupt aushalten konnten. Cathy hopste mehr als dass sie ging während ich Mühe hatte mit den hohen Schuhen überhaupt Schritt halten zu können. 
Am Bahnhof angekommen warteten noch mehr Cottreller Mädels auf den Partyzug der mich nicht nur aus unserer Stadt sondern auch weit weg von meiner Erinnerung an Michael bringen sollte. Cathy war ganz aufgeregt und zeigte dass auch offensichtlich den Mädels neben uns als sie sie nach einer Zigarette fragte. Ich rauche nicht. Das ist wohl einer meiner wenigen guten Eigenschaften wie Zac jetzt sagen würde. Rauchen ist teuer und man bezahlt sozusagen dafür dass man eher stirbt. Genau das was ich wollte. Sterben. Michael hinter mir lassen und einfach weg zu sein. Zu meiner Überraschung spürte ich aber keinen Schmerz mehr in meinem Herzen. Das war wohl der Alkohol der meine Sinne so betrübt hatte. Gut so! Ich fragte die Mädels mit denen Cathy sich anscheinend angefreundet hatte nach einem Schluck von ihrem edlen Mitternachtsdrink. 

Im Nightlux angekommen bahnten wir uns ersteinmal unseren Weg durch die Menge. Cathy zog mich hinter sich her an die Bar und wir bestellten zu dröhnendem Bass zwei Tequila. Nach dem nächsten Shot hatten wir wohl die Maximal-Grenze des uns möglichen Pegels erreicht. Auf der Tanzfläche waren mehr Männer als es in Cottrell jemals gegeben hatte. Keine fünf Minuten später tanzten Cathy und ich uns die Seele aus dem Leib in der Mitte einer Gruppe von Kerlen von denen ich noch keinen vorher gesehen hatte. Sean Paul gab alles und wir auch. Mir war so heiß dass meine Frisur schnell ihre ursprüngliche Form verlor und so flogen meine Haare hin und her im Takt der Musik. Irgendwann wurde Cathy so heftig von einem der Männer angetanzt dass sie nach kurzer Zeit mit ihm verschwand und ich alleine da stand. Ich tanzte weiter auch wenn es nur halb so sexy ausgesehen haben musste wie ich es mir vorgestellte. Nach einer gefühlten Ewigkeit überkam mich der Durst und so ging ich leichtfüßig und unter bewundernden Blicken einiger Mädels quer über die Tanzfläche zum Barkeeper und bestellte mir ein Bier. Ich hasste Bier genauso wie ich rauchen hasste aber in Anbetracht der Situation könnte ich jetzt kein Wasser bestellen sonst wäre die Bewunderung der anderen Discobesucher wohl in Entsetzen umgeschwungen. 

"Seit wann trinkst du Bier?" schrie mir jemand in mein Ohr. Ich drehte mich um und ich wünsche mir bis heute dass ich es nicht getan hätte. Vor mir stand die Person die sonst nie hierher kam, die überhaupt nie feiern ging, die Person wegen der ich überhaupt hier war. Michael. Und als wenn das nicht genug wäre tanzte hinter seinem Rücken seine neue Begleiterin mit ihren tollen Haaren,die natürlich immer noch gut aussahen. "Ehm, seit jetzt!", schrie ich zurück. Klasse Ana. Was eine schlagfertige Antwort. Michael lachte ein Lachen dass ich zuvor nie gehört hatte. Es war künstlich. Aufgesetzt und einfach widerlich. Ich lächelte mit weil mir nichts besseres einfiel und dann fragte Michael mich tatsächlich wie es mir gehen würde. Gut. Ja es geht mir ausgezeichnet. Du hast mir vor einigen Tagen das Herz gebrochen aber ja doch es ging mir nie besser Arschloch. "Gut.", war meine zerfetzende Antwort. 

Ich musste raus von hier. Mein Gott was hatte ich denn getrunken dass mir so schlecht war? Ich überlegte und kam zu dem Schluss dass mich die Flasche Sekt, ein Bier und 3 Tequila wohl nicht so schnell aus den Socken hauen würde wie jetzt! Ich trat mir auf die eigenen Füße aber spürte keinen Schmerz durch meinen Absatz. Frische Luft,ja, das brauchte ich jetzt. Wo war die Treppe? Wo war der Ausgang? "Entschuldigt mich mal." , stotterte ich Michael und seinem Hündchen entgegen. Ich stolperte über ein kaputtes Glas zu der Tür die als nächstes kam doch sie war abgeschlossen. Himmel ich konnte kaum noch stehen. Warum mussten sie hier auftauchen? Es gibt so viele andere Möglichkeiten seinen Abend zu verbringen als in einem Club tanzen zu gehen der offensichtlich unter ihrem Niveau ist. Mein Herz schlug wie wild und der Schmerz der sich in meiner Brust ausbreitete war kaum noch aufzuhalten. Es war so dunkel und der Boden so rutschig. Ich fing gerade an zu Boden zu Taumeln als mich jemand am Oberarm packte und meinen Sturz aufhielt. Ich versuchte meinen Kopf zu drehen doch ich hatte zu viele Haare vor den Augen um das Gesicht des vermeintlichen Mannes erkennen zu können der mich da am Arm hielt. Wahnsinn wie betrunken ich war. Aber etwas war anders. Dieses ganze Geschrei der Menschen und die Musik dröhnten in meinem Ohr und ich hatte jetzt auch stechende Schmerzen in den Beinen. Mein Herzschlag fühlte sich an wie eine Trommel. Erst jetzt viel mir auf dass ich ja immer noch in den Armen des Fremden hing wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Ich wollte etwas sagen aber das was ich hörte war mehr ein Gluksen und Brabbeln als das was ich sagen wollte. Ein Baby hätte er wohl besser verstanden als mich. Dann fing er an zu lächeln. Zu lächeln, nicht lachen. Ich an seiner Stelle hätte mich entweder kaputt gelacht über mich oder ich hätte mich abstoßend gefunden. Wahrscheinlich war ich beides, abstoßend und lächerlich. 

Der Unbekannte führte mich langsamen Schrittes Richtung Bar. Da wollte ich bestimmt nicht hin! Aber anstatt mich weiter abzufüllen bestellte er mir ein Glas Wasser. Nach einigen Schlücken brachte ich dann endlich einmal ein "Danke." heraus. "Keine Ursache." hörte ich leise während die Musik immer lauter werden zu schien. "Sollen wir gehen?", fragte er. Normalerweise würde ich verneinen und mich schleunigst von ihm entfernen. Da ich aber weder Cathy noch den Ausgang fand, blieb mir wohl nichts anderes übrig. Ich nickte um nicht noch mehr auf meinen Alkoholkonsum aufmerksam zu machen. Vorbei am Partyvolk führte er mich Richtung Ausgang. So langsam fiel mir auf wie groß er eigentlich war. Auch der Arm an dem ich mich festhielt war stark und fiel in seinem dunklen Shirt wohl mehr auf als ich. Doch dann meldete sich mein Verstand,zwar nur leise aber er meldete sich. Was mache ich hier eigentlich? Ich weiß doch gar nicht wer er ist? "Wie h-heißt du-u eigent-lich? *hicks*", fragte ich. Doch ich bekam keine Antwort. Stattdessen zog er mich förmlich die letzten Meter an der Kasse vorbei und dann standen wir dort. Es war viel zu kalt für mein Kleid und ich sah aus dem Augenwinkel seine Gänsehaut. Ich war fertig. Fertig mit Michael. Fertig mit dem Abend und fertig mit mir. Und wie das so ist mit betrunken Mädels mit Midlifecrisis, sie heulten. Vielleicht entwickelte sich ja jetzt ein Gespräch wenn er nachfragte was los wäre aber eigentlich wollte ich nicht reden. Ich wollte nach Hause. Ich sitze hier mit einem Kerl den ich nicht kenne und der zwischen meinen Tränen seine weißen Zähne erneut entblößte. Lachte er etwa? Nein das kann er mir nicht antun. Ich stand auf und wollte gehen aber er hielt mich zurück. "Lass mich." zischte ich. "Nana, ist das etwa der Dank dafür, dass ich dich gerettet habe?" Gerettet? "Ich hätte auch ohne dich heraus gefunden!" Was dachte er denn wer er ist? "Das bezweifle ich. Und ich zweifle auch daran dass du von hier aus heile nach Hause kommst." "Danke aber ich brauche keinen Babysitter." Mittlerweile zitterte meine Stimme nicht mehr so stark. Die frische Luft und das Wasser taten wirklich gut. "Ich habe heute einen guten Tag und deshalb werde ich dir nun ein Taxi rufen.", sagte er und holte sein Handy aus der Hosentasche. Ich wollte protestieren aber er hob abwehrend die Hand und drehte sich weg um zu erklären wo wir waren. Warum tat er das alles? Er wollte ja wohl gleich nicht mit in das Taxi zu mir fahren oder? Oh nein das hatte mir noch gefehlt. Wo war eigentlich Cathy? Ich zog ebenfalls mein Handy und tippte eifrig "Wo bist du? Fremder Typ hat mich rausgebracht und ruft mir Taxi! Hilfe!" Senden. Erst jetzt bemerkte ich dass er mir über die Schulter lugte. Ich drehte mich um und versuchte böse auszusehen. "Das Taxi ist unterwegs.",sagte er sichtlich unbeeindruckt. Ich wusste nicht ob ich nun dankbar oder sauer sein sollte. Ich entschied mich ein leises Danke zu murmeln und fing an nervös im Kreis zu gehen. Ping , das war eine Nachricht von Cathy "Biefn rei nifdch y ." Wow. Die Tatsache dass sie betrunkener war als ich beruhigte mich nicht wirklich aber wenigstens lebte sie noch. Plötzlich blendeten mich Scheinwerfer. Da stand es. Das Taxi und der Unbekannte hielt mir auch noch die Türe auf. "Darf ich bitten?", sagte er sichtlich amüsiert. Ich stieg ein und war überrascht dass er die Tür schloss. Er wollte also doch nicht mit mir ins Bett. "Wo solls denn hin gehen junge Frau?", fragte der Taxifahrer. Ich nannte meine Adresse und eh ich mich versah fuhren wir los. 


Die Sonne schien durch die kleinen Schlitze der Rollladen, als ich die Augen öffnete. Es musste mindestens zehn Uhr sein wenn nicht später. Ich roch dem Duft von frischen Croissants und Kaffee während ich verschlafen die Treppe hinunter trottete. Mum war wohl unterwegs denn auf dem Tisch lag ein Zettel mit der Aufschrift "Hoffe ein Katerfrühstück hilft. Bin bald wieder da. Kuss, mum ". Wenn sie mich so gesehen hätte wäre sie spätestens dann das weite Suchen gegangen. Die Wimperntusche verschmiert, die zähne nicht geputzt und einen dick verknoteten Zopf auf dem Kopf wurde mein Antlitz dem eines Zombies gleich. Mein Schneckentempo deutet ebenfalls daraufhin dass die Apokalypse präsent war und mum nur das weite gesucht hatte. Ich goss Kaffee ein und schrieb eine sms an Cathy. " Alles ok?" Kein smiley. Ich war sauer. Sie meldete sich sonst immer, wenn wir seltenerweise einmal getrennt nach Hause gingen. Ich zappte eine Weile durch die Programme im neuen Fernseher, als es klingelte. Gewiss dem Gedanken dass derjenige der mich gleich sah entweder Cathy sein musste oder ein weiterer Zombie, war ich erleichtert die nicht weniger gut ausschauende Cathy vor mir zu sehen. "Ana du glaubst es nicht!", sagte sie aufgeregt und stapfte an mir vorbei. Ich schloss die Tür und folgte ihr zombiemässigen Schrittes an den Frühstückstisch. Cathy wohnte quasi hier und nahm sich so auch gleich eines meiner Croissants und dippte sie in Erdbeermarmelade. Während ich weiter aß und noch nicht aufnahmefähig war, erzählte Cathy mir von ihrer nächtlichen Eskapade. "Er ist der Wahnsinn! Er ist so süß und ach er hat mir heute Nacht seine Jacke gegeben und dann sind wir zusammen zu ihm und..". Cathy war wie die BILD-Zeitung. Sie erzählte alles, auch das was niemand hören wollte. 2 Kaffee und um 1 Croissant ärmer durfte ich dann auch mal meinen Tagesbericht abgeben. Ihr Grinsen weckte in mir die gute Laune als ich abgeliefert hatte. "Und hast du seine Nummer?", fragte sie aufgeregt. Zack. Da war sie wieder futsch. Ich schüttelte den Kopf. Ein mitleidiges Augenverdrehen konnte Cathy sich nicht verkneifen. 

Ich war froh als sie ging. Dieser ganze Input war doch ein bisschen viel für einen Zombie. Eine Dusche und die neueste Folge Sex and the City später fühlte ich mich wie neu geboren. Ich wollte gerade meine Tasche ausleeren als mir ein kleiner weißer Zettel entgegen fiel. Ich hob ihn auf. Er war ziemlich klein gefalten.
"Man weiß selten, was Glück ist, aber man weiß meistens was Glück war.". Gezeichnet R. 

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